OTTO ADOLF EICHMANN

Otto Adolf Eichmann wurde am 19.3.1906 um 5 Uhr morgens in Solingen, Rheinland, geboren. Sein Vater, der zunächst Buchhalter für die Straßenbahn- und Elektrizitätsgesellschaft in Solingen und nach 1931 Direktor der gleichen Gesellschaft in der österreichischen Stadt Linz war, hatte außer Adolf noch eine Tochter und drei Söhne. Eichmann schaffte im Gegensatz zu seinen Geschwistern den Realschulabschluss nicht, und später scheiterte er am Abschlussexamen seines Polytechnikums. Dieses Scheitern schob er sein ganzes Leben auf die ihm ehrenhafter erscheinenden finanziellen Missgeschicke seines Vaters.

In der Zeit, in der Eichmann in der Schule nicht vorankam, verließ der Vater die Straßenbahn- und Elektrizitätsgesellschaft und machte ein eigenes Geschäft auf. Er kaufte ein kleines Bergwerksunternehmen und brachte dort seinen nicht gerade vielversprechenden Sprößling als einfachen Arbeiter unter, bis er für ihn schließlich eine Stelle in der Verkaufsabteilung der Oberösterreichischen Elektrobau AG fand, in der Eichmann über zwei Jahre lang blieb. Als er zehn Jahre alt war, war seine Mutter gestorben. Sein Vater hat wieder geheiratet. Seine Stelle gab Otto Adolf dann 1927 auf und trat seine neue Stelle bei der österreichischen Vacuum Oil Company AG an, er wurde Vertreter für diese Gesellschaft in Wien. Diese Stelle bekam er durch Beziehungen, die auch über jüdische Verwandte reichten. Im April des Jahres 1932 trat er in die österreichische NSDAP ein und wurde auch gleich Mitglied der SS auf Grund der Aufforderung von Ernst Kaltenbrunner, damals junger Rechtsanwalt in Linz, später Chef des Reichssicherheitshauptamtes. Ende 1932 ging es mit Eichmann bergab, er wurde unerwartet von Linz nach Salzburg versetzt, was ihm sehr "gegen den Strich ging". Anfang 1933 verlor er seine Stellung und die Nazi - Partei wurde als Folge von Hitlers Machtergreifung verboten. Als sich Eichmann deshalb entschloss nach Deutschland zu gehen, wurde er dort von seinem zuständigen SS-Führer rasch hintereinander in zwei bayerische SS-Ausbildungslager geschickt, nach Lechfeld und nach Dachau (er hatte nichts mit dem dortigen Konzentrationslager zu tun), wo die "Österreichische Exillegion" ausgebildet wurde. In diesem Ausbildungslager, in dem er von August 1933 bis September 1934 war, stieg er zum Scharführer auf.

1934 kam er, nachdem er sich erfolgreich um die Stelle beworben hatte, nach Berlin in das sogenannte Juden-Referat II 112 des Sicherheitsdienstes (SD). Später behauptete er dann, nichts von dem Charakter des SD gewusst und ihn mit dem Reichssicherheitsdienst verwechselt zu haben. 1935 heiratete er Veronika Liebl, was ihm Vorteile einbrachte, da Verheiratete leichter befördert wurden als Junggesellen.

Nach seiner Beförderung in den Offiziersrang bekam Eichmann im März 1938 seine erste größere Aufgabe. Er sollte von Wien aus alle Juden, ohne Rücksicht auf ihre Absichten und ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit, zur Auswanderung aus dem Reich zu zwingen. Sein Erfolg war glänzend: innerhalb von nur acht Monaten verließen 45.000 Juden Österreich, während in der gleichen Zeit nicht mehr als 19.000 aus Deutschland weggingen. In weniger als 18 Monaten war Österreich von annähernd 150.000 Menschen "gesäubert". Das entsprach etwa 60% der jüdischen Bevölkerung in Österreich, und alle hatten das Land "legal" verlassen. Sogar nach Kriegsausbruch konnten noch ca. 60.000 entkommen. "Was damals geschah, muss man für eine der paradoxesten Episoden in der ganzen Epoche der Naziherrschaft halten: der Mann, der als einer der Erzhenker des jüdischen Volkes in die Geschichte eingehen sollte, trat zunächst als aktiver Mitarbeiter an der Rettung der Juden auf." Die Hauptschwierigkeit bei der Emigration der Juden hatte in der Unzahl von Papieren bestanden, die jeder Emigrant zusammenbekommen musste, bevor er das Land verlassen konnte. Eichmann löste dieses Problem, indem er alle in Frage kommenden Beamten und Funktionäre z.B. das Finanzministerium, die Leute von der Einkommenssteuer, die Polizei, die jüdische Gemeinde etc. unter dem selben Dach unterbrachte und sie so dazu brachte, ihre Arbeit an Ort und Stelle in Gegenwart des Antragstellers zu erledigen Der brauchte dann nicht mehr von Büro zu Büro zu rennen, und ein Teil der Schikanen und Bestechungsgelder wurden ihm wahrscheinlich auch erspart, aber in Wahrheit sah die Sache im wesentlichen so aus: " Auf der einen Seite kommt der Jude herein, der noch etwas besitzt, einen Laden oder eine Fabrik oder ein Bankkonto. Nun geht er durch das ganze Gebäude, von Schalter zu Schalter, von Büro zu Büro, und wenn er auf der anderen Seite herauskommt, ist er aller Rechte beraubt, besitzt keinen Pfennig, dafür aber einen Pass, auf dem steht: " Sie haben binnen 14 Tagen das Land zu verlassen, sonst kommen Sie ins Konzentrationslager."" Ihr Vorzeigegeld, das sie brauchten, um überhaupt von anderen Staaten aufgenommen zu werden, mussten jüdische Funktionäre bei jüdischen Organisationen im Ausland beschaffen, denn das Reich wollte natürlich keine Devisen an Juden verschwenden. Eichmann äußerte später dazu, dass die Juden wünschten, "eigenen Grund und Boden unter die Füße zu bekommen", und darauf habe seine freudige Mitarbeit basiert. Man dürfe nicht vergessen, dass er mit diesen "an einem Strang gezogen" und sie gerettet habe. Im März 1939 wurde Eichmann mit dem Aufbau einer weiteren Auswanderungszentrale nach Wiener Vorbild in Prag beauftragt. Im Oktober desselben Jahres rief man Eichmann nach Berlin , wo er ins Reichssicherheitshauptamt versetzt wurde, und er übernahm dort das Referat für "Juden- und Räumungsangelegenheiten". Mit SS-Brigadeführer Franz Stahlecker entwickelte er den Plan, einen "Judenstaat" in einem Gebiet Polens zu schaffen und alle Juden dorthin zu bringen, was jedoch scheiterte. Eichmanns zweiter Versuch " festen Grund und Boden unter die Füße der Juden" zu bekommen, war das Madagaskar-Projekt. Der Plan bestand darin, vier Millionen Juden auf die französische Insel vor der südöstlichen Küste Afrikas zu evakuieren - eine Insel mit einer einheimischen Bevölkerung von 4.370.000 Menschen und einer Ausdehnung von 589.900 km kargen Bodens. Der "Judenstaat" sollte dann einem unter Himmler stehenden Polizeigouverneur unterstellt werden. Als Eichmanns Auswanderungsplan im Sommer 1940 zum völligen Stillstand gekommen war, sollte er diesen Plan detailliert ausarbeiten, was völliger Unsinn war, weil bei den vier Millionen Juden noch nicht die drei Millionen polnischen Juden eingerechnet waren, das Gebiet für Kolonisation ungeeignet war, es sich um französischen Besitz handelte und mitten im Krieg Schiffsraum für vier Millionen Juden benötigt worden wäre. Als das Madagaskar Projekt ein Jahr später für gescheitert erklärt wurde, folgte als nächster Schritt logischerweise, da kein Territorium vorhanden war, wohin evakuiert werden konnte, als "Lösung" die Vernichtung.

Im Juli 1941 informierte Heydrich Eichmann in Berlin darüber, dass der Führer die "physische Vernichtung" der Juden befohlen hat. "Und als ob er jetzt nun die Wirkung seiner Worte prüfen wollte, machte er, ganz gegen seine Gewohnheit, eine lange Pause. Ich weiss es heute noch. Ich hatte im ersten Augenblick es nicht zu ermessen vermocht, die Tragweite, weil er seine Worte so sehr wählte, und dann wusste ich Bescheid und habe nichts darauf gesagt, weil ich dazu nichts mehr sagen konnte. Denn [...] an solche Sachen, an so eine Gewaltlösung selbst hatte ich nie gedacht gehabt. Damit schwand auch bei mir alles. Alle Arbeit, alle Bemühungen, alles Interesse; da war ich gewissermaßen ausgeblasen. Und dann sagte er zu mir: " Eichmann, fahren Sie rauf zu Globocnik, Lublin [...] Der Reichsführer hat Globocnik [ einem der SS- und Polizeiführer ] bereits entsprechende Anweisungen gegeben und sehen Sie sich an, wie weit er mit seinem Vorhaben gekommen ist. Er benutzt, glaube ich, die russischen Tankgräben zum Vernichten der Juden." Das, an das erinnere ich mich noch, denn das werde ich nie vergessen, und mag ich noch so alt werden, diese Sätze, die er mir hier bei dieser Unterredung gesagt hat." Heydrich hatte hinzugefügt, dass Eichmanns Referat "mit der physischen Liquidierung nichts zu tun habe, sondern seine Aufgabe auf rein polizeiliche, d.h. in diesem Fall das Erfassungsmäßige beschränkt bleibe und dass im Generellen diese Angelegenheiten dem Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA) übertragen worden sei." Im übrigen sei für die Vernichtungsaktion der Deckname "Endlösung der Judenfrage" zu benutzen. Eichmann gehörte jedoch nicht zu den ersten, die von Hitlers Befehl unterrichtet wurden. Heydrich hatte seit Jahren, vermutlich seit Beginn des Krieges, in dieser Richtung gearbeitet. Um den März 1941 herum, sechs Monate vor dem Gespräch Eichmanns mit Heydrich, war die "Massenvernichtung der Juden [...] bereits in höheren Parteikreisen allgemein bekannt", wie Victor Brack aus der Kanzlei des Führers in Nürnberg aussagte. Aber Eichmann hatte niemals zu den höheren Parteikreisen gehört, ihm wurde immer nur gerade so viel mitgeteilt, wie er zur Erledigung ganz bestimmter, fest umrissener Aufgaben wissen musste. Unter den anderen Befehlsempfängern jedoch war er einer der ersten, die man über diese "streng geheime" Angelegenheit informierte, die auch dann noch "Geheimsache" blieb, als die Kenntnis von der "Endlösung" sich in allen Parteidienststellen, Staatsämtern, in den Industriebetrieben, die mit Sklavenarbeitern zu tun hatten, und zumindest unter den Wehrmachtsoffizieren herumgesprochen hatte. Diejenigen, die ausdrücklich von dem Führerbefehl unterrichtet wurden, wurden in diesem Augenblick von bloßen "Befehlsträgern" zu "Geheimnisträgern", denen ein besonderer Eid abgenommen wurde. Außerdem unterlag jegliche Korrespondenz über diese Angelegenheit einer strikten "Sprachregelung", und abgesehen von den Berichten der Einsatzgruppen erscheinen so eindeutige Worte wie "Ausrottung", "Liquidierung" oder "Tötung" in den Dokumenten ganz selten. Die vorgeschriebenen Tarnausdrücke für das Ermorden waren "Endlösung", "Aussiedlung" und "Sonderbehandlung". Eichmann wurde von Heydrich nach Lublin geschickt, wo er die Vorbereitungen für die künftigen Kohlenmonoxid-Kammern von Treblinka zu sehen bekam, eins der sechs Todeslager im Osten, in dem einige Hunderttausende von Menschen sterben sollten. Nicht lange nach dieser Reise, im Herbst desselben Jahres, wurde er von seinem Vorgesetzten Müller zur Inspektion des Vernichtungszentrums im neueingegliederten Warthegau geschickt. Es war das Todeslager von Kulmhof, wo im Jahre 1944 über 300.000 Juden aus allen Teilen Europas, die man zunächst ins Lodzer Getto "umgesiedelt" hatte, umgebracht wurden. Und hier war die Aktion bereits in vollem Gange. Die Juden befanden sich in einem großen Raum; man befahl ihnen, sich zu entkleiden; dann fuhr der Lastwagen vor, hielt direkt vor der Tür dieses Raumes, und die nackten Juden mussten in ihn einsteigen. Seine Türen wurden geschlossen, und der Lastwagen fuhr los. Auf die Frage, wie viele Menschen er fasste, sagte Eichmann in Jerusalem: " Ich weiss es nicht genau zu sagen. Ich habe nicht einmal hingeschaut die ganze Zeit. Ich konnte es nicht, nicht, mir hat es genügt. Das Schreien, und, und, ich war hier viel zu erregt gewesen und so weiter. Ich sagte das auch Müller bei meiner Berichterstattung. Er hat von meiner Berichterstattung nicht viel profitiert. Ich fuhr dann dem Wagen nach - sicherlich mit einem der Leute dort, die den Weg gewusst haben, und da sah ich das Entsetzlichste was ich in meinem Leben bis dahin gesehen hatte. Der fuhr an eine längliche Grube, die Türen wurden aufgemacht und heraus wurden Leichen geworfen, als ob sie noch lebten, so geschmeidig waren die Glieder. Wurden reingeworfen, ich sehe noch, wie ein Zivilist mit einer Zange Zähne raus-, rauszieht, und dann bin ich abgehauen. Seit der Zeit konnte ich [...] stundenlang [im Wagen] sitzen, ohne ein Wort mit meinem Fahrer zu sprechen. Da war ich bedient. Da war ich fertig. Ich weiss nur noch, dass ein Arzt dort, in einem weißen Kittel, mir sagte, ich soll durch ein Guckloch schauen, wie sie im Wagen drin waren. Das habe ich abgelehnt. Ich konnte nicht, ich konnte nichts mehr sagen, ich musste weg." Wenig später sollte er etwas noch Entsetzlicheres mit ansehen. Das geschah, als er nach Minsk in Weißrussland geschickt wurde - wiederum von Müller, der ihm sagte: "in Minsk, werden die Juden erschossen, möchte Bericht haben, wie das vor sich geht." Als er ankam, "war die Sache schon fast vorbei, fast vorbei - worüber ich selbst heilfroh gewesen bin. Als ich hinkam, sah ich aber gerade noch, wie junge Schützen [...] in eine Grube schossen [...] Schossen hinein und ich sehe eine Frau, Arme nach rückwärts, und dann sind auch mir die Knie abgewankt, und ich bin weg." Auf der Rückfahrt von Minsk hielt er in Lemberg an, aber gerade als er sich dort wohl fühlte, beging er den großen Fehler, den örtlichen SS-Befehlshaber aufzusuchen: " Ja, sag ich ihm, das ist ja entsetzlich, was da gemacht wird, sag ich, da werden ja die jungen Leute zu Sadisten erzogen [...] Wie kann man denn ? Einfach dahier hineinknallen - auf eine Frau und Kinder ? Wie ist denn das möglich ? sag ich. Es kann doch nicht. Die Leute müssen entweder wahnsinnig werden oder sie werden Sadisten. Unsere eigenen Leute." Leider stellte sich heraus, dass sie in Lemberg genau dasselbe taten wie in Minsk - sein Gastgeber zeigte ihm diese Sehenswürdigkeiten nur zu gern, obwohl Eichmann aufs dringendste versuchte, sich zu entschuldigen. Aber vergeblich: " Da habe ich eine andere furchtbare Sache gesehen. Da war eine Grube gewesen, die war aber schon zu. Da quoll, wie ein Geysir [...] ein Blutstrahl heraus. Auch so etwas habe ich nie gesehen. Mir reichte der Auftrag, ich bin nach Berlin gefahren und habe dem Gruppenleiter Müller das berichtet." Damit nicht genug. Eichmann bat ihn zwar: " Schicken Sie doch jemand anderen hin. Jemand robusteren [...] Ich war nie Soldat. Es gibt doch genügend andere, die können das sehen. Die kippen nicht aus den Latschen. Ich kann`s nicht sehen, sagte ich. In der Nacht kann ich nicht schlafen. Ich träume - ich kann`s nicht, Gruppenführer. Wurde aber nicht gemacht." Sondern neun Monate später schickte Müller ihn wieder in die Lubliner Gegend, wo der überaus emsige Globocnik inzwischen seine Vorbereitungen abgeschlossen hatte. Und dies, sagte Eichmann, sei nun definitiv der entsetzlichste Augenblick seines Lebens gewesen: als er ankam, konnte er den Ort, an dem seinerseits ein paar Holzbaracken gestanden hatten, zunächst gar nicht wiedererkennen. Statt dessen geleitete ihn derselbe Mann zu einem Bahnhofsgebäude mit dem Stationsschild "Treblinka", das genauso aussah wie eine beliebige Eisenbahnstation irgendwo in Deutschland: " Ich habe dort mich weit zurückgehalten. Ich bin nicht mehr rangegangen, um das alles zu sehen! Habe gesehen, wie dort durch Laufstege, die mit Stacheldraht eingefasst waren, eine Kolonne von nackten Juden in ein Haus nach vorne [...] ein saalähnliches Gebäude gegangen sind, zum Vergasen. Dort aber wurden sie, soviel man mir erzählt hat, mit - wie heißt dieses - Zyan ... Zyankali oder Säure ...".

Eichmann hat also tatsächlich gar nicht so viel gesehen. Zwar hat er verschiedentlich das größte und berüchtigtste Todeslager Auschwitz besucht, aber das Konzentrationslager Auschwitz in Oberschlesien, das sich über eine Fläche von 40 qkm ausdehnte, war keineswegs nur ein Vernichtungslager. Es war ein Riesenunternehmen mit annähernd 100.000 Insassen der verschiedenen Kategorien, unter denen sich Nichtjuden und einfache Zwangsarbeiter befanden, die nicht für das Vergasungsprogramm vorgesehen waren. Als Besucher konnte man die Tötungsanlagen leicht umgehen, und Höss, mit dem Eichmann sich recht gut verstand, ersparte ihm den grausigen Anblick. Eichmann ist niemals bei einer Massenerschießung unmittelbar dabeigewesen, er hat niemals von nahem den Vergasungsvorgang beobachtet, noch hat er je die Selektion der Arbeitsfähigen (durchschnittlich etwa 25 Prozent jedes Transports) auf der Rampe mit angesehen, die in Auschwitz den Vergasungen vorausging. Er hat mit eigenen Augen gerade genug gesehen, um genau Bescheid zu wissen, wie die Vernichtungsmaschinerie funktionierte: dass es zwei verschiedene Methoden des Tötens gab - Erschießen und Vergasen, dass die Erschießungen von den Einsatzgruppen und dass die Vergasungen in den Lagern, entweder in Gaskammern oder in Gaswagen, vorgenommen wurden und dass in den Lagern ausgeklügelte Vorkehrungen getroffen wurden, um die Opfer bis zum Schluss über ihr Schicksal zu täuschen. Obwohl Eichmann dies gesehen hatte, versuchte er nicht aus der Sache herauszukommen, was er "unter dem einen oder anderen Vorwand" gekonnt hätte, wie er später zugab. "Heimlich davonstehlen konnte sich ja jeder einzelne. Ich habe aber nicht zu denjenigen gehört, die es für zulässig hielten". Als einzigen Milderungsgrund führte er an, dass er sich bemüht habe, bei der Abwicklung seiner Aufgaben " unnötige Härten nach Möglichkeit zu vermeiden". Als Eichmann im Polizeiverhör gefragt wurde, ob die Direktive, " unnötige Härten zu vermeiden", nicht einen ironischen Klang habe, angesichts der Tatsache, dass die Bestimmung dieser Menschen sowieso der sichere Tod war, verstand er die Frage gar nicht, so fest verankert war in ihm die Überzeugung, dass nicht Mord, sondern die Zufügung unnötiger Schmerzen eine unverzeihliche Sünde sei. In echte Erregung versetzte ihn nicht die Beschuldigung, Millionen von Menschen in den Tod geschickt zu haben, sondern allein die ( vom Gericht zurückgewiesene ) Beschuldigung eines Zeugen, er habe einen jüdischen Jungen zu Tode geprügelt. Eichmann selbst hatte mit der Anwendung von Gas und den Massenerschießungen in den Vernichtungslagern vermutlich gar nichts zu tun, was ihm die Anklage später vorwerfen solle, denn die Vernichtungsbefehle wurden den Kommandanten der Lager immer entweder schriftlich oder mündlich durch das WVHA mitgeteilt; sie stammten entweder vom Chef dieses Hauptamtes Oswald Pohl oder von Brigadeführer Richard Glücks, der Höss direkter Vorgesetzter war. Die "Einzelheiten", die Eichmann mit Höss in regelmäßigen Abständen zu besprechen hatte, drehten sich um die Tötungskapazität des Lagers: wie viele Zugladungen konnte Auschwitz pro Woche absorbieren, und möglicherweise auch um Erweiterungspläne für die Anlagen. Im September 1941 hatte Eichmann seine ersten Massendeportationen organisiert. Im Zusammenhang mit dem ersten großen Transport, der aus etwa 20.000 Juden aus dem Rheinland und 5.000 Zigeunern bestand, ereignete sich etwas Merkwürdiges. Eichmann, der niemals eigene Entscheidungen traf, der stets außerordentlich darauf bedacht war, von Befehlen "gedeckt" zu sein, der von sich aus nicht einmal mit Vorschlägen hervortrat, sondern stets auf "Direktiven" wartete, ergriff jetzt "zum ersten Mal und auch zum letzten Mal" eine Initiative, die seinen Befehlen widersprach: anstatt diese Menschen nach Riga oder Minsk in die besetzten russischen Gebiete zu schicken, wo sie sofort von den Einsatzgruppen erschossen worden wären, dirigierte er den Transport nach dem Lodzer Getto, wo, wie er wusste, bislang noch keine Vorbereitungen für die Vernichtung eingeleitet worden waren, vermutlich, weil der Getto-Kommandant, ein gewisser Regierungspräsident Übelhör, Mittel und Wege gefunden hatte, um aus "seinen" Juden erheblichen Profit zu ziehen. (In Lodz wurde übrigens das erste Getto errichtet; es wurde als letztes liquidiert, hier blieben diejenigen Insassen, die nicht an Krankheiten oder Hunger zugrunde gingen, bis zum Sommer 1944 am Leben.) Diese Entscheidung brachte Eichmann in erhebliche Schwierigkeiten. Das Getto war überfüllt, und Herr Übelhör war weder geneigt, Neuankömmlinge unterzubringen, noch war er in der Lage, sie unterzubringen. Er war so wütend, dass er sich bei Himmler beschwerte. Aber Himmler und Heydrich deckten ihn, und der Vorfall war ganz schnell vergessen. Die Verteidigung wollte diesen Vorfall als Beleg dafür angesehen wissen, dass Eichmann Juden gerettet habe, wann immer er konnte - was natürlich nicht stimmte. Denn schon drei Wochen später war er bei einer von Heydrich in Prag einberufenen Konferenz dabei, in der beschlossen wurde, 50.000 Juden aus dem Reich nach Riga und Minsk zu transportieren, und Eichmann hatte schon Wochen und Monate bevor er in den Führerbefehl eingeweiht wurde über die Mordaktionen der Einsatzgruppen Bescheid gewusst. Er wusste, dass direkt hinter der Kampflinie alle russischen Funktionäre, die ganze polnische Intelligenz und alle einheimischen Juden in Massenerschießungen ermordet wurden.

Im September 1941 wurde auf Vorschlag Eichmanns in Theresienstadt ein Getto für Juden aus Böhmen und Mähren eingerichtet. Dieses Lager war jedoch viel zu klein und war von vornherein von Heydrich, dem Chef des Sicherheitsdienstes und der Sicherheitspolizei, zum Sondergetto für bestimmte privilegierte Kategorien von Juden bestimmt. Theresienstadt war das einzige Konzentrationslager, das nicht in die Zuständigkeit des WVHA fiel, sondern bis zum Schluss seiner eigenen Verantwortung unterstand. Die Kommandanten von Theresienstadt kamen aus Eichmanns eigenem Stab und hatten stets niedrigere Dienstgrade als er selbst; es war das einzige Lager, in dem er tatsächlich etwas von der Macht ausüben konnte, die ihm die Anklage in Jerusalem zuschrieb. Theresienstadt diente später als Paradestück für die Außenwelt. Es war das einzige Getto oder Lager, zu dem Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes zugelassen wurden. Nach der Wannsee-Konferenz, deren Ziel es war, alle Maßnahmen zur Durchführung der "Endlösung" zu koordinieren, verlief alles mehr oder weniger reibungslos und wurde rasch zur Routine. Eichmann selbst wurde bald zum Fachmann für Judenaussiedlung. In einem Land nach dem anderen ereignete sich das Gleiche: die Juden mussten sich registrieren lassen, wurden gezwungen, als auffallendes Kennzeichen den gelben Stern zu tragen; sie wurden zusammengetrieben und deportiert, die verschiedenen Transporte wurden nach dem einen oder anderen der Vernichtungslager im Osten dirigiert, je nach deren augenblicklicher Kapazität; wenn ein Zug voller Juden in einem Lager ankam, wurden die kräftigeren zur Arbeit selektiert, oft genug zur Bedienung der Vernichtungsanlagen, und die übrigen sofort umgebracht. Nur gelegentlich kamen geringfügige Stockungen vor. Das Auswärtige Amt stand in Kontakt mit den Behörden aller Staaten, die von Nazis besetzt oder mit ihnen verbündet waren, und setzte sie unter Druck, ihre Juden zu deportieren - oder verhinderte, was auch vorkam, dass die ausländischen Behörden ihre Juden Hals über Kopf nach Osten evakuierten, außerhalb der vorgeschriebenen Reihenfolge, ohne die angebrachte Rücksicht auf die Aufnahmekapazität der Vernichtungszentren. Die juristischen Fachleute sorgten für die notwendige gesetzgeberische Regelung, um die Opfer staatenlos zu machen, denn das war aus zwei Gründen wichtig: erstens konnte dann kein einziger Staat Nachforschungen nach den Deportierten anstellen, und zweitens besaßen damit die jeweiligen Heimatländer der Juden juristische Möglichkeiten zur Konfiskation ihres Besitzes. Reichsfinanzministerium und Reichsbank stellten Auffangvorrichtungen für die enorme Beute aus ganz Europa bereit, für Wertgegenstände bis zu Uhren und Goldzähnen, die in der Reichsbank sortiert und an die preußische Staatsmünze zum Einschmelzen weitergeleitet wurden. Das Reichsverkehrsministerium stellte die erforderlichen Eisenbahnwagen, meistens Güterwagen, zur Verfügung; es sorgte dafür, dass die Termine der Deportationszüge nicht mit anderen Fahrplänen kollidierten. Die Judenräte wurden von Eichmann oder seinen Leuten darüber informiert, wie viele Juden man für die jeweils bewilligten Züge benötigte, und sie stellten die Listen der zu Deportierenden auf. Und die Juden ließen sich registrieren, sie füllten Formulare aus, beantworteten unendlich ausführliche Fragebögen über ihren Besitz, damit die Beschlagnahme ohne Komplikationen erfolgen konnte, und dann fanden sie sich pünktlich an den Sammelstellen ein und kletterten in die Güterwagen. Die wenigen, die sich zu verbergen oder zu entfliehen versuchten, wurden von besonderen jüdischen Polizeitruppen ausfindig gemacht. Eichmann sah nur, dass keiner protestierte, dass alles klappte, weil alle "zusammenarbeiteten". Eichmann bediente sich hierbei der Hilfe jüdischer Funktionäre. Ohne diese Hilfe bei Verwaltungs- und Polizeimaßnahmen - die endgültige Festnahme der Juden in Berlin lag ausschließlich in der Hand jüdischer Polizei - wäre entweder das völlige Chaos ausgebrochen, oder man hätte mehr deutsche Arbeitskräfte heranziehen müssen, als man zu diesem Zweck einsetzen konnte. Die Nazis konnten sich darauf verlassen, dass jüdische Funktionäre Personal- und Vermögenslisten ausfertigten, die Kosten für Deportation und Vernichtung bei den zu Deportierenden aufbrachten, frei gewordene Wohnungen im Auge behielten und Polizeikräfte zur Verfügung stellten, um die Juden zu ergreifen und auf die Züge bringen zu helfen - bis zum bitteren Ende, der Übergabe des jüdischen Gemeindebesitzes zwecks ordnungsgemäßer Konfiskation. Sie versuchten mit " tausend Opfern hundert Menschen zu retten" bis sie selbst meist "nur" nach Theresienstadt deportiert wurden.

Eichmanns Büro hatte im Rahmen der ganzen Operation die Funktion eines äußerst wichtigen Umschlagplatzes, da es jederzeit von ihm und seinen Leuten abhing, wie viele Juden aus einer bestimmten Gegend abtransportiert werden konnten; durch sein Büro lief die endgültige Bestätigung jedes Transports, auch wenn er nicht die Entscheidung über den Bestimmungsort hatte. Die Schwierigkeiten jedoch, all die vielen Abfahrts- und Ankunftstermine aufeinander abzustimmen, und der unaufhörliche Ärger über den Kleinkrieg mit Bahnbehörden und Reichsverkehrsministerium wegen des erforderlichen Transportraums, das Kopfzerbrechen, das ihm die Festlegung der Fahrpläne, das Umdirigieren von Zügen nach Lagern mit ausreichender "Aufnahmekapazität" und andererseits die Bereitstellung der genügenden Anzahl von Juden an den Sammelstellen bereitet haben musste - es kam ja darauf an, keinen Laderaum zu "verschwenden" - , die Sorgen, wie man die Behörden verbündeter und besetzter Länder zur Übernahme der Verhaftungsaktion veranlassen könne, schließlich die Notwendigkeit, die vielen Vorschriften und Richtlinien bezüglich der verschiedenen Kategorien von Juden, die für jedes Land gesondert festgelegt, aber ständig geändert wurden, zu beachten, so dass es gar nicht einfach war, auf dem Laufenden zu bleiben - das alles wurde zur Routine.

Bei der Durchführung der Deportationen zeichnete sich Eichmann durch eine besondere Gefühlskälte aus, obwohl er nie "fanatischer Antisemit" war und stets betonte, persönlich nichts gegen Juden zu haben. Von seinem Eifer zeugen seine beständigen Klagen über Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Todeslager-Quoten. In diesem Zusammenhang gab es jedoch einen komischen Vorfall, der ganz im Gegensatz zu seinem sonstigen Verhalten stand. Eichmann hatte von Rudolf Höss, dem Kommandanten von Auschwitz, ein Telegramm bekommen, dass der Vertreter einer jüdischen Gemeinde, den Eichmann aus Wien kannte, ins Lager eingeliefert worden sei, und er habe dringend verlangt, ihn zu sehen. "Und da hab ich mir gesagt: Gut, der Mann war immer ordentlich gewesen, man hat die ganzen Jahre schließlich und endlich an einem Strang gezogen. Das lohnt sich mir, da fahr ich hin, da wollen wir mal sehen, was da los ist [...] Ich fuhr nach Auschwitz [...] und sage: Hier sitzt Storfer ein - "Ja, er wurde einem Arbeitsblock zugeteilt." Dann ist er geholt worden. Storfer, ja dann war es ein normales menschliches Treffen gewesen. Er hat mir sein Leid geklagt. Ich habe gesagt: "Ja, mein lieber guter Storfer, was haben wir denn da für ein Pech gehabt ?" und habe ihm auch gesagt: "Schauen Sie, ich kann Ihnen wirklich gar nicht helfen, denn auf Befehl des Reichsführers kann keiner Sie nicht herausnehmen, Dr. Ebner kann Sie nicht herausnehmen. Ich hörte, dass Sie sich versteckt hielten oder türmen wollten, was Sie doch gar nicht nötig haben." Aber ich weiss nicht mehr, was mir darauf gesagt wurde. Und dann sagte mir Storfer - sagte ich ihm, wie es ihm geht - sagte er: Ja, er möchte doch bitten, ob er nicht arbeiten brauchte, es wäre Schwerstarbeit, und dann hab ich dann Höss gesagt: Arbeiten braucht Storfer nicht. Sagte Höss: Hier muss jeder arbeiten. Da sag ich: Gut, sage ich, ich werde eine Aktennotiz anlegen, sagte ich, dass Storfer hier mit dem Besen die Kieswege in Ordnug hält. So kleine Kieswege waren dort, und dass er das Recht hat, sich jederzeit mit dem Besen auf eine der Bänke zu setzen. Sage ich: Ist das recht, Herr Storfer ? Passt Ihnen das ? Da war er sehr erfreut, und wir gaben uns die Hand, und dann hat er den Besen bekommen und hat sich auf die Bank gesetzt. Das war für mich eine große innere Freude gewesen, dass ich den Mann, mit dem ich so lange Jahre, den ich so lange Jahre zumindest sah - und man sprach." Sechs Wochen nach diesem "normalen, menschlichen Treffen" war Storfer tot - offenbar wurde er nicht vergast, sondern erschossen.

Im März 1944 wurde Eichmann nach Ungarn geschickt, um sich dort um die Deportation der in Ungarn befindlichen 800.000 Juden zu kümmern. In weniger als zwei Monaten verließen 147 Züge mit insgesamt 434.351 Menschen Ungarn in versiegelten Güterwagen, hundert Personen pro Waggon, und die Gaskammern von Auschwitz konnten diese Menge kaum bewältigen. Selbst als der Reichsverweser Admiral Horthy nach einem ungewöhnlich schweren Luftangriff auf Budapest am 2. Juli befahl, die Deportationen einzustellen, befolgte Eichmann diesen Befehl nicht, sondern deportierte Ende Juli weitere 1.500 Juden nach Auschwitz.

Die letzten Monate des Krieges verbrachte Eichmann in Berlin, wo er nichts zu tun hatte. Im April 1945 traf er zum letzten Mal Himmler, der ihn damit beauftragte, hundert bis zweihundert prominente Juden in Theresienstadt auszusuchen und in österreichischen Hotels unterzubringen, so dass Himmler sie in Verhandlungen mit den Alliierten als Geiseln benutzen könne. Eichmann kam jedoch nicht bis nach Theresienstadt, da alle Straßen von der heranrückenden russischen Armee blockiert waren. Er landete in Alt-Aussee in Österreich, wo er später von amerikanischen Soldaten gefangen genommen und in ein Lager für SS-Männer gesteckt wurde, wo man trotz verschiedener Verhöre seine Identität nicht entdeckte, obwohl sie einigen seiner Mitgefangenen bekannt war. 1946 flüchtete er mit Hilfe anderer Gefangener aus dem Lager und ging in die Lüneburger Heide, wo der Bruder eines Mitgefangenen ihm unter dem Namen Otto Heninger Arbeit als Holzfäller beschaffte. Anfang 1950 gelang es ihm, Verbindung mit ODESSA aufzunehmen, einer Geheimorganisation ehemaliger SS-Mitglieder, und im Mai desselben Jahres wurde er durch Österreich nach Italien geschleust, wo ihn ein Franziskanerpater, der über seine Identität genau unterrichtet war, mit einem Flüchtlingspass auf den Namen Richard Klement ausstattete und nach Buenos Aires weiterschickte. Im Sommer 1952 ließ er seine Frau und die Kinder nachkommen. Am 11.Mai 1960 wurde er dort vom israelischen Geheimdienst entführt, als er um 18:30 Uhr aus dem Autobus stieg, der ihn von seinem Arbeitsplatz nach Hause brachte. Acht Tage lang wurde er in Argentinien an ein Bett gefesselt festgehalten. Er musste eine schriftliche Erklärung abgeben, dass er keine Einwände habe, vor ein israelisches

Gericht gestellt zu werden. Neun Tage nach der Entführung wurde er nach Israel geflogen. Die Israelis hatten Glück; sie wären niemals imstande gewesen, Eichmann aus dem Land zu schmuggeln, hätte seine Frau die argentinische Polizei unter Angabe der richtigen Identität ihres Mannes über sein Verschwinden benachrichtigt. Da sie aber seine Identität nicht enthüllen wollte, wurden Bahnhöfe, Autostraßen und Flughäfen nicht kontrolliert.

Nach insgesamt 90 Polizeiverhören, die 275 Stunden lang dauerten, wurde Eichmann am 11. April 1961 vor das Bezirksgericht von Jerusalem gestellt und wegen "Verbrechen gegen das jüdische Volk", "Verbrechen gegen die Menschheit" und "Kriegsverbrechen" angeklagt. Auf jeden Punkt der Anklage antwortete Eichmann: "Im Sinne der Anklage nicht schuldig." Eichmann verteidigte sich gegen die Anschuldigungen: "Ich hatte mit der Tötung der Juden nichts zu tun. Ich habe niemals einen Juden getötet, aber ich habe auch keinen Nichtjuden getötet - ich habe überhaupt keinen Menschen getötet. Ich habe auch nie einen Befehl zum Töten eines Juden gegeben, auch keinen Befehl zum Töten eines Nichtjuden ... Habe ich nie getan." Es habe sich eben so ergeben, dass er es nie habe tun müssen, denn er ließ keinen Zweifel daran, dass er seinen eigenen Vater getötet hätte, wenn es ihm befohlen worden wäre. Man könne ihn nur anklagen der "Beihilfe" zur Vernichtung der Juden, die er in Jerusalem "eines der kapitalsten Verbrechen innerhalb der Menschheitsgeschichte" nannte. Die Staatsanwaltschaft versuchte nachzuweisen, dass es Eichmann zuzutrauen war, auf eigene Faust Mordbefehle zu erteilen. Aber da die Deportationslisten gewöhnlich von den Judenräten oder von der Ordnungspolizei in den Heimatländern aufgestellt wurden, niemals jedoch von Eichmann oder seinen Leuten, stand es in der Tat nicht in seiner Macht zu bestimmen, wer sterben und wer leben sollte. Eichmann konnte kein konkreter Mord oder Totschlag nachgewiesen werden. Eichmann sagte, was er getan hätte, sei nur im Nachhinein ein Verbrechen; er sei immer ein gesetzestreuer Bürger gewesen. Hitlers Befehle, die er nach bestem Vermögen befolgt hatte, hätten im Dritten Reich "Gesetzeskraft" besessen. Dies wüssten die Leute, die jetzt von ihm, Eichmann, verlangten, er hätte damals anders handeln sollen, einfach nicht, oder sie hätten vergessen, wie die Dinge zu Hitlers Zeiten ausgesehen haben. Er jedenfalls wollte nicht zu denen gehören, die nachträglich versichern, dass sie immer schon dagegen gewesen wären, wenn sie in Wirklichkeit eifrig getan hatten, was man ihnen zu tun befahl. Doch die Zeiten ändern sich; er sei wie viele andere "zu neuen Einsichten gekommen." Was er getan habe, habe er getan, er wolle nichts abstreiten; vielmehr sei er bereit "als abschreckendes Beispiel für alle Antisemiten dieser Erde" sich selbst öffentlich zu erhängen. Dies hieße aber nicht, dass er etwas bereue. Die Anklage unterstellte ihm nicht nur, dass es sich um "vorsätzliche" Verbrechen handelte - dies bestritt er nicht - , sondern auch, dass er aus niedrigen Motiven und in voller Kenntnis der verbrecherischen Natur seiner Taten gehandelt habe. Beides leugnete er auf das Entschiedenste. Was die niedrigen Motive betraf, so war er sich ganz sicher, dass er nicht "seinem inneren Schweinehund gefolgt" war; und er besann sich darauf, dass ihm nur eins ein schlechtes Gewissen bereitet hätte: wenn er den Befehlen nicht nachgekommen wäre und Millionen von Männern, Frauen und Kinder nicht mit unermüdlichem Eifer und peinlichster Sorgfalt in den Tod transportiert hätte. Im Schlussplädoyer führte Eichmanns Verteidiger aus, dass

keine Todesstrafe ausgesprochen werden dürfe, da die Todesstrafe in Deutschland ohne Einschränkungen abgeschafft worden sei und die Strafe nicht über "das Strafmaß des vertretenen Landes hinausgehen" kann. Dann bat Eichmann um ein kurzes Schlusswort. Er sagte, seine Hoffnung auf Gerechtigkeit sei enttäuscht; das Gericht habe ihm nicht geglaubt, obwohl er sich stets bemüht habe, die Wahrheit zu sprechen. Das Gericht verstünde ihn nicht: er habe nie "zu den Fanatikern der Judenverfolgung gehört", das sei ein "großer Irrtum", "die Zeugen haben da eine Unwahrheit gesagt"; sein "Wille war nicht, Menschen umzubringen". Seine Schuld war Gehorsam, und Gehorsam werde doch als Tugend gepriesen. Seine Tugend sei von den Regierenden missbraucht worden. Aber er hätte nicht zur Führungsschicht gehört, er sei vielmehr ihr Opfer, und die Bestrafung verdienten nur die Führer. "Ich bin nicht der Unmensch, zu dem man mich macht", sagte Eichmann. "Ich bin Opfer eines Fehlschusses. Ich bin der Überzeugung, dass ich hier für andere herhalten muss."

Eichmann befand sich vom 20.Juni bis zum 24.Juli in 34 Sitzungen im Zeugenstand. In 62 Sitzungen wurden über 100 Belastungszeugen angehört, die über die "Endlösung" in europäischen Ländern berichteten. Am 29. Juni 1961, zehn Wochen nach der Eröffnung des Prozesses am 11.April, schloss die Anklage ihre Beweisaufnahme ab und Eichmanns Anwalt, Dr. Servatius, der von der israelischen Regierung bezahlt wurde, eröffnete die Verteidigung; am 14. August, nach 144 Sitzungen, war das Hauptverfahren abgeschlossen. Das Gericht vertagte sich dann für vier Monate und traf am 11. Dezember zur Urteilsverkündung wieder zusammen. In fünf Sitzungen verlasen die drei Richter die 244 Paragraphen des Urteils. Sie ließen den von der Anklage vorgebrachten Vorwurf der "Konspiration", der Eichmann zu einem Hauptkriegsverbrecher machte, der für alles, was mit der "Endlösung" zusammenhing, automatisch haftete, fallen, sprachen ihn aber dann in allen 15 Anklagepunkten mit gewissen Einschränkungen schuldig. "Zusammen mit anderen" hatte er "Verbrechen gegen das jüdische Volk" begangen, d.h. er hatte Verbrechen begangen, "in der Absicht, das jüdische Volk zu vernichten", und zwar: "(1) indem er die Tötung von Millionen von Juden zum Zwecke der Durchführung ... der "Endlösung der Judenfrage" verursacht hat", "(2) indem er für Millionen von Juden solche Lebensverhältnisse herbeigeführt hat, die dazu angetan waren, ihren physischen Tod herbeizuführen", "(3) indem er ihnen schweren körperlichen und seelischen Schaden zugefügt hat" sowie "(4) indem er Geburtenverbot und Schwangerschaftsunterbrechung bei den Frauen im Getto Theresienstadt anordnete". Sie sprachen ihn jedoch für die Zeit vor dem August 1941 von diesen Verbrechen frei. Die Anklagepunkte 5-12 befassten sich mit den "Verbrechen gegen die Menschheit":

(5) die gleichen Straftaten wie in Punkt (1) und (2)

  1. "Verfolgung von Juden aus nationalen, rassischen, religiösen und politischen Gründen"
  2. "Raub des Vermögens von Millionen Juden unmittelbar vor ihrer Ermordung"
  3. "Kriegsverbrechen" (fasste alle Straftaten noch einmal zusammen, da sie während des 2. Weltkriegs begangen wurden)
  4. "Deportation von Hunderttausenden Polen von ihren Wohnsitzen"
  5. "Deportation ... von mehr als 14.000 Slowenen von ihren Wohnsitzen"
  6. "Deportation von vielen zehntausend Zigeunern" nach Auschwitz
  7. "Deportation von 93 Kindern aus Lidice"
  8. - (15) "Zugehörigkeit zu drei als "verbrecherisch" eingestuften Organisationen, zur SS, zum Sicherheitsdienst und zur Gestapo"

Die letzten drei Punkte fielen unter die Verjährungsfrist von 20 Jahren. Eichmann hatte hartnäckig daran festgehalten, bei der Begehung der Verbrechen, deren er angeklagt war, nur "Beihilfe und Vorschub" geleistet, aber selbst nicht gemordet zu haben. Das Urteil berücksichtigte, dass die Anklage ihn in diesem Punkt habe nicht widerlegen können. Das Urteil nahm also auch die Tatsache zur Kenntnis,dass es in den Todeslagern gewöhnlich die Insassen selbst gewesen waren, die "das Mordwerkzeug mit eigenen Händen" geführt haben:

"Falls wir seine Handlungen in der Sprache des Paragraphen 23 unseres Strafcodex kennzeichnen wollen, so waren alle in ihrem Wesen Anstiftungshandlungen, Erteilung von Ratschlägen und Anweisungen an andere wie auch Hilfeleistungen an andere oder Ermöglichung der Handlungen anderer. Aber in diesem gigantischen und weitverzweigten Verbrechen, das vor uns zur Behandlung steht, an dem viele Personen in verschiedenen Befehlsstufen und in verschiedenen Tätigkeitsausmaßen teilgenommen haben - Planentwerfer, Organisatoren und die verschiedenen Rangordnungen angehörenden Ausführungsorgane -, ist es nicht zweckmäßig, die üblichen Begriffe des Anstifters und Gehilfen in Anwendung zu bringen. Die gegenständlichen Verbrechen sind ja Massenverbrechen, nicht nur, was die Zahl der Opfer anlangt, sondern auch in bezug auf die Anzahl der Mittäter, so dass die Nähe oder Entfernung des einen oder des anderen dieser vielen Verbrecher zu dem Manne, der tatsächlich das Opfer tötet, überhaupt keinen Einfluss auf den Umfang der Verantwortlichkeit haben kann. Das Verantwortlichkeitsausmaß wächst vielmehr im allgemeinen, je mehr man sich von demjenigen entfernt, der die Mordwaffe mit seinen Händen in Bewegung setzt."

Zwei Tage später, am 15. Dezember 1961 um 9:00 Uhr morgens wurde die Todesstrafe festgesetzt. Drei Monate später, am 22. März 1962, wurden vom Appellationsgericht, Israels Oberstem Gericht, die Revisionsverhandlungen vor fünf Richtern eröffnet. Der Verteidiger wiederholte seine Argumente gegen die Zuständigkeit des israelischen Gerichts, und da seine Bemühungen, die westdeutsche Regierung zur Einleitung eines Auslieferungsverfahrens zu veranlassen, vergeblich gewesen waren, verlangte er jetzt, dass Israel die Auslieferung anbieten solle. Er brachte noch einige andere Punkte vor, warum das Verfahren unfair und das Urteil ungerecht sei. Er konnte jedoch kein neues Beweismaterial vorlegen. Die Verhandlungen vor dem Berufungsgericht dauerten nur eine Woche. Danach vertagte sich das Gericht für zwei Monate. Am 29. Mai 1962 wurde das Urteil der zweiten Instanz verlesen. Scheinbar bestätigte es das Urteil des Bezirksgerichts in allen punkten, doch in Wirklichkeit war das Urteil des Berufungsgerichts eine Revision des erstinstanzlichen Urteils. Im auffälligen Gegensatz zum ursprünglichen Urteil wurde jetzt befunden, dass "der Berufungskläger überhaupt keine Befehle von oben" erhalten habe. Er war sein eigener Chef, und er gab die Befehle in allem, was jüdische Angelegenheiten betraf. Am gleichen Tag, am 29.Mai, ging dem Präsidenten Israels, Itzhak BenZvi, Eichmanns Gnadengesuch zusammen mit Briefen von seiner Frau und der Familie zu. Der Präsident erhielt zudem Hunderte von Briefen und Telegrammen aus aller Welt mit Gnadenersuchen. Präsident BenZvi lehnte alle Gnadenersuchen am 31. Mai ab, und wenige Stunden später am selben Tag wurde Eichmann kurz vor Mitternacht gehängt, sein Körper verbrannt und die Asche außerhalb des israelischen Hoheitsgebietes übers Mittelmeer gestreut. Die Eile mit der das Todesurteil vollstreckt wurde, war ungewöhnlich. Weniger als zwei Stunden, nachdem Eichmann über die Ablehnung des Gnadenersuchs unterrichtet worden war, fand die Hinrichtung statt. Die Erklärung liegt wahrscheinlich in zwei Versuchen von Dr. Servatius, seinen Klienten in letzter Minute zu retten - einem Antrag an ein westdeutsches Gericht, die Regierung zur Beantragung von Eichmanns Auslieferung doch noch zu zwingen, sowie einer Drohung, den Artikel 25 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte anzurufen. Weder Dr. Servatius noch sein Assistent waren in Israel, als Eichmanns Gnadenersuch abgelehnt wurde. Die israelische Regierung wollte den Fall, der sich schon zwei Jahre hingezogen hatte, wohl abschließen, ehe die Verteidigung überhaupt um Aufschub der Hinrichtung bitten konnte. Mit dem Todesurteil hatte man gerechnet, und es ist in der Öffentlichkeit kaum kritisiert worden. Völlig anders lagen die Dinge, als bekannt wurde, dass die Israelis das Urteil vollstreckt hatten. Die Proteste waren zwar kurzlebig, aber sie kamen von allen Seiten, vor allem von bekannten, einflussreichen Persönlichkeiten. Adolf Eichmann ging ruhig in den Tod. Er bat um eine Flasche Rotwein und trank die Hälfte davon aus. Die 50 Meter von seiner Zelle zur Hinrichtungskammer geht er in aufrechter Haltung, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Als die Wärter ihm die Füße zusammenbinden, sagt er: "So kann ich nicht stehen", und: "Nein, das brauche ich nicht", als sie ihm die schwarze Binde anbieten. An Haltung hat es ihm nicht gefehlt. "In einem kurzen Weilchen, meine Herren, sehen wir uns ohnehin wieder. Das ist das Los aller Menschen. Gottgläubig war ich im Leben. Gottgläubig sterbe ich. Es lebe Deutschland. Es lebe Argentinien. Es lebe Österreich. Das sind die drei Länder, mit denen ich am engsten verbunden war. Ich werde sie nicht vergessen." Im Angesicht des Todes fiel ihm genau das ein, was er in unzähligen Grabreden gehört hatte: das "Wir werden den Toten nicht vergessen". Sein Gedächtnis, auf Klischees und erhebende Momente eingespielt, hatte ihm den letzten Streich gespielt: er fühlte sich "erhoben" wie bei einer Beerdigung und hatte vergessen, dass es die eigene war.

Literatur:

Hannah Arendt: "Eichmann in Jerusalem - Ein Bericht von der Banalität des Bösen"

Jochen von Lang: "Eichmannprotokoll - Tonbandaufzeichnungen der israelischen Verhöre"

Siegfried Einstein: "Eichmann - Chefbuchhalter des Todes"

Bernd Nellessen: "Der Prozess von Jerusalem"

 

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Ó C&M Verlag, Mannheim 1997
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